Zu Hause ist es am schönsten!

ALEXANDER WOLF
NOUCHKA WOLF

Zuhause ist es am schönsten!

Gleichwohl omnipräsent und überbordend der Wunsch danach kursiert – ist es zu Hause meist nicht am schönsten. Als geschiedenes Künstlerpaar können Alexander Wolf, geb. 1975 und Nouchka Wolf, geb. 1982 auf besonders eindringliche Weise Möglichkeiten und Grenzen partnerschaftlicher Beziehung und eine unisono Vorstellung von trauter Liebe, Harmonie, Heimat und einem Zuhause mit allgegenwärtigen, menschlichen und nicht auslöschbaren Aspekten von Aggression, Angst und gesellschaftspolitischen Zwängen unterwandern. In Anleihen historischer Fakten und aktuellem Zeitgeschehen entstehen Arbeiten, die mit der Wiederholung und Verdichtung von Ähnlichkeiten, mit fiktiven oder realen Geschehnissen spielen und dabei in Analogie zur Realität das untrügliche Gefühl verströmen, dass es keinen Unterschied macht, dass das Ungute, Unschöne, Verletzungen nicht abgeschafft werden können.

In ihren bis 2011 gemeinsam realisierten Arbeiten bediente sich das damalige Künstlerpaar zunächst überwiegend Medien von Performance und Video. In ihrer erneuten Zusammenkunft dominieren Zeichnungen, Fotografien und Objekte, die zunächst auf trügerische Weise einem gegenwärtig vorherrschenden „Geschmack des Selbstgebastelten“, Masking Tape, Polaroids und passepartourierten Zeichnungen gleichen, sich jedoch in Ambivalenzen, Verschnitten und alberner Moral einer Ästhetisierung kategorisch verweigern.

Für die Ausstellung „Zu Hause ist es am schönsten!“ wollen Alexander Wolf und Nouchka Wolf Werte von Familie, Gemeinschaft und Tradition nicht der sogenannten „Neuen Rechten“ überlassen: Sie sind „mit Heinrich Heine und gegen Friedrich Ludwig Jahn (der g’schissene Turnvater)“. Während Heinrich Heine als einer der bedeutendsten deutschen Literaten mit kritischer und politisch engagierter Haltung gilt, begründete Friedrich Ludwig Jahn 1810 die sogenannte Turnbewegung, die durch sportliche Betätigung  der politischen und patriotischen Erziehung Deutschlands dienen sollte und auf deren Grundlage 1815 die bis in die Gegenwart nationalistisch geprägte Urburschenschaft gegründet wurde. Sowohl Heine als auch Jahn haben sich in ihren Schriften Tierbilder bedient. Jahn bezieht sich etwa hinsichtlich einer „allgemeinen [deutschen] Volkstracht“ auf Äsops Fabel „Die weiße Dohle“, die geplagt vom Neid über die domestizierten Tauben, ihr Gefieder glättete, weiß bemalte und sich zum bequemen Fressen unter sie mischte. Statt ihre neue gewonnen Privilegien jedoch still zu genießen, konnte die Dohle ihr Gekrächze nicht unterdrücken und wurde von den Tauben erkannt und vertrieben und musste fortan – auch von ihren eigenen Artgenossen verstoßen – ihre Nahrung ganz alleine finden. Eine weitere Fabel Äsops handelt von Zeus und der Schildkröte, als ein Sinnbild von Heimat und Gemeinschaft, das vielmehr der Eigenverantwortung und ihren Bedingungen unterliegt: Als Zeus heiratete lud er alle Tiere zu sich ein, allein die Schildkröte erreichte ihn mit großer Verspätung. Als Zeus sie nach dem Grund hierfür verhörte, antwortete sie: „Das eigene Haus ist das beste Haus“. Verärgert über ihre Zurückweisung erwirkte Zeus die Strafe, dass die Schildkröte ihr Haus auf ihren eigenen Rücken laden musste und nun stets mit sich herumtragen. Heine greift in seinen Schriften nicht auf Äsops Fabel zurück. Jedoch verwendet er das Bild der Schildkröte als Allegorie für einen Patriotismus fern ab jeder Ideologie und Moralisierung. In Anlehnung an die beiden Tierbilder und ihre Inbesitznahme zeigen zwei aktuelle Arbeiten von Alexander Wolf und Nouchka Wolf in schiefgeschnittenen Passepartouts comichafte Zeichnungen von Dohle und Schildkröte. Sie begleitende Moralsprüche „Ruhig, entspannt dagegen sein Macht zum Feste trautes Heim“ oder „Hüllt sich mit Stolz ein armes Eignes ein Ists, bald entblößt, ohje, nur mehr allein“ speisen ihre Ironie dabei aus einer vergangenen missbräuchlichen Aneignungen der Fabeln und jeweilig interessengeleiteten Moral. Eine solche Tradition kehren Alexander Wolf und Nouchka Wolf für ihre Zwecke um. Sie lassen die Dohlen nicht mitspielen und hören sich (wie es das Ausstellungsplakat andeutet) im patriotischen Panzer der Schildkröte – Zu Hause ist es am schönsten! – „mal den Schmarrn des Lützow’schen Freikorps an“. Der Lützowsche Freikorps war 1813 ein in der Ideologie von Friedrich Ludwig Jahn begründeter freiwilliger Zusammenschluss der preußischen Armee innerhalb der Befreiungskriege und entwickelte hohe Symbolkraft hinsichtlich der Anstrengung eines deutschen Nationalstaates. Und von seinen Uniformfarben leiten sich bis heute die deutschen Nationalfarben ab. Derartig beklemmende bis absurde Zusammenhänge werden im Werk von Alexander Wolf und Nouchka Wolf wieder und wieder und wieder offenbar und warum das so ist – warum die Gegenwart sich noch kaum von der Vergangenheit unterscheiden will: „Hier aber, auf der Wartburg, krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang […] [und es] herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anders war als Haß des Fremden und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wußte, als Bücher zu verbrennen! Eben derjenige, welcher das Bücherverbrennen auf der Wartburg in Vorschlag brachte, war auch zugleich das unwissendste Geschöpf, das je auf Erden turnte und altdeutsche Lesarten herausgab: wahrhaftig, dieses Subjekt hätte auch Bröders lateinische Grammatik ins Feuer werfen sollen!“ (Heinrich Heine, Ludwig Börne. Eine Denkschrift, 1840)

Rosa Windt